Nachhaltigkeitszertifizierungen im Tourismus
Prof. Dr. Julius Arnegger
Deutsches Institut für Tourismusforschung,
Fachhochschule Westküste, Heide
Auf Verbraucherseite steigt das Interesse an nachhaltigen Produkten. Z. B. wuchs der Umsatz mit Bio-Lebensmitteln in Deutschland in den vergangenen 20 Jahren um über 600 Prozent. Auch im Tourismus wächst das Interesse an nachhaltigen Angeboten: nach aktuellsten Zahlen möchten 68 Prozent der Deutschen gerne ökologisch oder sozialverträglich reisen, und auch dieser Anteil ist über die vergangenen Jahre insgesamt gestiegen.
Ambivalenz zwischen Interesse und Verhalten bei Verbraucher*innen
Andererseits wurden nur bei 13 Prozent aller Urlaubsreisen Angebote mit Nachhaltigkeitskennzeichnung tatsächlich genutzt. Woher rührt dieser Unterschied zwischen Einstellung und tatsächlichem Verhalten? Sind Verbraucher*innen etwa weniger nachhaltig orientiert, als sie selbst zugeben würden? „Lohnt“ sich dann für Betriebe überhaupt ein Engagement für mehr Nachhaltigkeit und die Kommunikation desselben, z.B. mit Hilfe von Zertifikaten, die immer auch mit Kosten verbunden sind?
Eine pauschale Antwort ist nicht einfach. Allerdings hilft der Vergleich mit der Lebensmittelbranche: der Erfolg von Biolebensmitteln hängt auch damit zusammen, dass diese (a) vom Nischen- zum Mainstreamprodukt wurden, das auch beim Discounter erhältlich ist und (b), dass Gütesiegel wie das deutsche Biolabel starke Verbreitung und Bekanntheit erlangt haben. Im Tourismus ist beides bislang so nicht gegeben: nachhaltige Produkte sind für Verbraucher*innen vergleichsweise schwer zu identifizieren, und Auszeichnungen, die derartige Produkte erkenn- und unterscheidbar machen könnten, sind relativ unbekannt.
Nachhaltigkeits-Trends ernst nehmen
Dennoch deuten sich Veränderungen an, auch getrieben durch z. B. Verpflichtungen im Rahmen internationaler Klimaschutzvereinbarungen, neuen Standards für das Nachhaltigkeitsreporting (CSRD) oder die aktuell diskutierte „Green Claims Directive“ de EU, auf deren Basis Nachhaltigkeitsversprechen in Zukunft transparent belegt sein sollen. Auch wenn diese neuen Regeln teilweise noch nicht in Kraft sind, bzw. auf kleine und mittlere Unternehmen (noch) nicht angewendet werden, sollte die Tourismusbranche die Trends hin zu mehr Nachhaltigkeit ernst nehmen. Auch kleinere Anbieter*innen könnten schon heute indirekt betroffen sein, wenn größere Reiseveranstalter*innen von ihren Partner*innen Nachweise für nachhaltiges Wirtschaften verlangen, oder wenn Unternehmen im Rahmen ihrer Geschäftsreisetätigkeit z. B. ausschließlich nachhaltig zertifizierte Hotels wählen.
Vertrauenswürdige Zertifikate
Insgesamt werden Politik, das wachsende Interesse auf Seiten der Verbraucher*innen sowie der steigende Konkurrenzdruck dafür sorgen, dass das Thema Nachhaltigkeit dynamisch weiter an Relevanz gewinnt. Daher ist es aus unternehmerischer Sicht wichtig, sich damit auseinanderzusetzen und zu überlegen, wie man die eigenen Nachhaltigkeitsaktivitäten an Kund*innen kommunizieren kann. Dies funktioniert, trotz der oben skizzierten Einschränkungen, am glaubwürdigsten über vertrauenswürdige Zertifikate. Indem qualitativ hochwertige Labels von Unternehmen gezielt ausgewählt werden, können auch im Tourismus einheitlichere Standards geschaffen werden.
Empfehlenswerte Nachhaltigkeitszertifikate orientieren sich dabei am Standard des Global Sustainable Tourism Council (GSTC) und sind vom GSTC anerkannt. Erste Orientierungspunkte können die Webseite von GSTC, wissenschaftliche Studien zu existierenden Zertifizierungssystemen (etwa „Nachhaltiger Tourismus“ von der Verbraucherinitiative und Zentrum für Nachhaltigen Tourismus, 2017) oder auch auf transparenten Kriterien beruhende Übersichten vermitteln wie z. B. die Webseite www.tourismus-labelguide.org der Schweizer Nichtregierungsorganisation fairunterwegs.
Der Artikel ist unserer Publikation “fair am meer” entnommen.