Eine Welt im Blick e.V.
Lieferkettengesetz

Lieferkettengesetz

Stellungnahme zum Antrag der SPD-Fraktion im schleswig-holsteinischen Landtag

Gegründet vor fast zehn Jahren als Förderverein des Weltladens Heide, ist es dem Eine Welt im Blick e.V. ein Anliegen, zukunftsfähiges Wirtschaften in Heide, Dithmarschen und in Schleswig-Holstein, insbesondere an der Westküste, zu befördern.

Zukunftsfähiges Wirtschaften strebt nachhaltige und auf den Menschenrechten basierende Produktions-, Handels- und Konsumweisen an. Hierfür initiieren und gestalten wir Prozesse und Aktivitäten in Schleswig-Holstein zusammen mit anderen NGOs, mit Kommunen und Unternehmer*innen sowie mit Politiker*innen und Ministerien. So wirken wir u.a. an den Fairtrade-Town-Konferenzen in Schleswig-Holstein sowie Vernetzungstreffen zu Nachhaltiger Beschaffung in Kommunen mit. Auch arbeiten wir mit Hochschulen wie z.B. der FH Westküste in Heide zu Unternehmensverantwortung und Nachhaltigem Tourismus zusammen.

Vor dem Hintergrund unseres jahrelangen Engagements im Fairen Handel in Schleswig-Holstein unterstützen wir den Antrag der SPD „Lieferkettengesetz jetzt!“. Als Mitglied der „Schleswig-Holsteinischen Initiative für ein Lieferkettengesetz (SHIly)“ bitten wir das beiliegende Positionspapier des Bündnisses als Teil unserer Stellungnahme zu berücksichtigen.

Verbraucher*innen und freiwillige Zertifizierungen allein setzen Menschenrechte in globalen Lieferketten nicht durch!

Das Bewusstsein für gravierende Menschenrechtsverletzungen in globalen Lieferketten ist in den letzten Jahren deutlich gestiegen. Die Berichterstattung in den Medien sowie die Bildungs- und Kampagnenarbeit von entwicklungspolitisch Engagierten haben Wirkung gezeigt. In Schleswig-Holstein gibt es inzwischen 26 anerkannte Fairtrade-Towns, wo sich lokale Bündnisse zur Förderung des Fairen Handels zusammen geschlossen haben. Die Absatzzahlen für fair gehandelte Produkte haben sich innerhalb der letzten sieben Jahre in Deutschland auf 1,85 Milliarden Euro in 2019 verdreifacht. Nichtsdestotrotz erreicht fair gehandelter Kaffee nur einen Marktanteil von 6,7 %.
Die Verantwortung für Menschenrechte alleine dem Verbraucher zu überlassen, scheint wenig geeignet, um generell Missstände in globalen Lieferketten zu beseitigen. Vom Bewusstseinswandel zur Änderung des Einkaufsverhaltens ist ein weiter Weg.

Dabei wird das Angebot von fair gehandelten, nachhaltigen und ethisch verantwortlichen Produkten immer größer. Immer mehr Unternehmen setzen sich mit ihren Lieferketten auseinander und nutzen Zertifizierungen und Auditsysteme, um Sozial- und Umweltstandards auch bei ausländischen Zulieferern sicher zu stellen. Technologische Neuerungen ermöglichen mehr Transparenz in Lieferketten und die Rückverfolgbarkeit von Produkten.

Zahlreiche Brancheninitiativen bemühen sich um Verbesserungen. Die zunehmende Zahl von Siegeln mit unterschiedlich hohen Standards macht es den Verbraucher*innen aber nicht einfacher. Auch ist es für sie gerade bei komplexen Produkten wie Autos oder Elektrotechnik schwer, die Öko- und Sozialbilanz eines Produktes zu überblicken.

Manch Initiative ist auch aufgrund fehlender unabhängiger, regelmäßiger Kontrollen sowie weichgespülter Kriterien eher Greenwashing als ein ernst gemeinter Beitrag zur Umsetzung von Menschenrechte in globalen Lieferketten. Gleichzeitig sind den Anstrengungen fortschrittlicher Unternehmen Grenzen gesetzt, solange sie im Markt in (Preis-)Konkurrenz zu Mitbewerber*innen stehen, die Missstände in ihren globalen Lieferketten billigend in Kauf nehmen.

Ein verbindlicher, allgemeiner Rahmen für die Wirtschaft ist gefragt.

Wir halten es deshalb für notwendig, dass die Politik menschenrechtliche Sorgfaltspflichten von Unternehmen gesetzlich regelt, damit alle Unternehmen ihrer Verantwortung nachkommen und gleichzeitig Rechtssicherheit erfahren, was genau dies beinhaltet. Es ist nicht hinnehmbar, dass Kinder auf Kakaoplantagen oder in Minen arbeiten, dass fundamentale Rechte von Näherinnen verletzt werden und Menschen ihre Lebensgrundlage verlieren aufgrund der Umweltzerstörung beim Ab- bzw. Anbau von Rohstoffen (z. B. Palmöl, Gold).

Die schwierige Durchsetzung von Menschenrechten weltweit.

Natürlich sind in erster Linie Staaten verantwortlich für die Umsetzung von Menschenrechten.

Immer wieder hören wir aber bei Besuchen von Handelspartner*innen des Fairen Handels, dass die Gesetzgebung in ihren Ländern zwar grundlegende Menschenrechte auf dem Papier umsetzt, es aber faktisch keine Kontrollen und für Betroffene von Menschenrechtsverletzungen keinen Zugang zu Gerichten gibt.

Auch (EU-)Handelsverträge sichern derzeit nicht die Umsetzung von Menschenrechte im internationalen Handel. Trotzdem wünschen auch wir uns, dass auf internationaler Ebene über die UN-Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte hinaus verbindliche Regeln für Unternehmen geschaffen werden. Regeln, wie sie z. B. im Rahmen der Verhandlungen zu einem verbindlichen UN-Abkommen angestrebt werden, woran sich die Bundesregierung und die EU bislang aber leider nicht beteiligen.

Erfreulicherweise gibt es aber in vielen Branchen schon heute Berichts- und Transparenzpflichten von Unternehmen zu ihren Lieferketten, so z. B. die EU-Verordnung zu Konfliktmineralien oder im Bereich des Anbaus, der Sammlung und der Verarbeitung von Arzneimittelpflanzen (GACP und GMP). Auch hat der EU-Justizkommissar, Didier Reynders, für 2021 einen Vorschlag für ein europäisches Lieferkettengesetz angekündigt. Der Gesetzgebungsprozess auf europäischer Ebene wird sich aber hinziehen. Da er nationale Regelungen, wie es sie bereits heute in Frankreich und den Niederlanden gibt, berücksichtigen wird, könnte Deutschland mit einem nationalen Gesetz auf die Ausgestaltung des europäischen Rechts Einfluss nehmen.

Auch wegen Corona bedarf es eines Lieferkettengesetzes jetzt!

Am Anfang der Covid-19-Pandemie hieß es, das Virus mache keine Unterschiede. Heute wissen wir: Zwar sind alle von den Auswirkungen betroffen, doch sie verstärkt bestehende, strukturelle Ungleichheiten und Ungerechtigkeiten. Nicht nur die deutsche Wirtschaft leidet. Menschen am Anfang von internationalen Lieferketten sind extrem hart getroffen.

Die Internationale Arbeitsorganisation schätzt, dass von April bis Juni 495 Millionen Vollzeitjobs weltweit weggefallen sind, vor allem in armen Staaten und in Schwellenländern, wo es weniger steuerliche Anreize und staatliche Hilfe zur Stützung der Wirtschaft gegeben hat. Löhne und Gehälter seien seit Beginn des Jahres in einer Größenordnung von 3.500 Milliarden Dollar (2.988 Milliarden Euro) verloren gegangen. Die Weltbank rechnet mit einem Plus von 150 Mio Menschen, die 2020 durch die Pandemie in extreme Armut geraten.

Während einige große konventionelle Unternehmen Aufträge stornieren oder Preise drücken, unterstützen Fair-Handels-Unternehmen ihre langjährigen Handelspartner in der Krise und halten an den Regeln des Fairen Handels fest. Diejenigen, die nachhaltig und fair wirtschaften, drohen dadurch in eine wirtschaftliche Schieflage zu geraten.

Gerade jetzt bedarf es deshalb der Einführung eines Lieferkettengesetzes, damit alle Unternehmen, die Produkte in Deutschland verkaufen wollen, grundlegende menschenrechtliche Sorgfalt in ihren Geschäftsbeziehungen übernehmen!