Eine Welt im Blick e.V.
INTERVIEW

INTERVIEW

TourCert ist aus dem gemeinsamen Projekt CSR in tourism von Brot für die Welt, der Hochschule Eberswalde, der Bildungs- und Beratungsorganisation KATE Umwelt & Entwicklung und Naturfreunde Internationale entstanden. Das gemeinsame Anliegen war Anfang der 2000er Jahre, die Wertschöpfungsketten im internationalen Tourismus transparenter und nachhaltiger zu gestalten. Zu Beginn standen Reiseveranstalter im Fokus, da sie eine bedeutende Rolle spielen und Einfluss auf weitere Akteure im Tourismus haben.

Nachhaltiger Tourismus Martin Balaš
tourcert Dithmarschen

Gemeinsam mit den Unternehmen wurde eine Handreichung erarbeitet, wie Nachhaltigkeitsprozesse bei Reiseveranstaltern verbessert werden können. Auch entstand ein Schema für eine Nachhaltigkeitsberichterstattung. Die beteiligten Unternehmen wünschten sich aber auch mehr Sichtbarkeit und Glaubwürdigkeit für ihr Engagement. Ihre Nachhaltigkeitsberichterstattung sollte auch extern validiert und überprüft werden. So entstand die Zertifizierung und das Siegel TourCert. Seit 2015 ist TourCert als gemeinnützige GmbH eine eigenständige Organisation.

Da von Anfang an der Fokus auf den Wertschöpfungsketten lag, war es TourCert wichtig, die unterschiedlichen Akteure vor Ort, also in den Regionen, in denen sich der Tourist / die Touristin aufhält, noch besser „mit ins Boot zu holen“. Dadurch entstand die Idee, nicht nur einzelne Unternehmen, sondern die Destination als lokale oder regionale Einheit in den Blick zu nehmen.

2012 bekundete dann das Land Baden-Württemberg Interesse, seine Reiseregionen als nachhaltige Tourismusdestination auszeichnen zu lassen. So kam TourCert, deren Geschäftsstelle in Stuttgart ist, dazu, mit den Akteuren vor Ort die Grundlagen für ein Zertifizierung als „Nachhaltiges Reiseziel“ zu entwickeln, aufbauend auf den Erfahrungen mit den Reiseveranstaltern. Nur lag nun der Fokus komplett auf der Region bzw. auf den Wertschöpfungsketten der Akteure in der Region. Und so steht das TourCert-Siegel heute auch für eine Destinationszertifizierung, die so in ihrer Form einmalig ist.

Zudem geht es nicht nur um eine Zertifizierung, sondern um den gesamten Prozess und die stetige Weiterentwicklung der Tourismus-Akteure auf dem Weg in eine nachhaltigere Zukunft. Wichtig ist uns hierbei „Empowerment“, der Aufbau von lernenden Strukturen und die Übernahme von unternehmerischer Verantwortung.

Es ist nicht möglich, alle Akteure einer Destination, die mit Tourismus zu tun haben, zu zertifizieren. Deshalb geht es uns um die Schaffung von Strukturen und Prozessen, um den Tourismus mit seinen unterschiedlichen regionalen Akteuren insgesamt nachhaltiger zu gestalten. Zu Beginn liegt der Fokus auf Befragungen und Analysen der Stakeholder in einer Destination. Mit diesen tritt die lokale Tourismusorganisation dann in den Austausch. Gemeinsam wird eine Nachhaltigkeitsstrategie entwickelt mit einem Maßnahmenplan, der umzusetzen ist. TourCert begleitet diesen Prozess und überprüft, inwiefern die geplanten Maßnahmen auch umgesetzt werden.

Wichtig ist der Aufbau eines frei gestaltbaren Partnerprogramms, in dem sich nachhaltige Akteure vor Ort vernetzen. Die Partner werden in der Kommunikation der lokalen Tourismusorganisation und in der Vermarktung des Reiseziels besonders beworben. Die Partnerbetriebe müssen nicht selbst durch TourCert zertifiziert sein. Es reicht der Nachweis, dass sie sich nachhaltig engagieren. Beispielsweise durch eine anderweitig anerkannte Zertifizierung.

Wir haben verschiedene Tools auf Onlineplattformen entwickelt, um den Einstieg in die Nachhaltigkeit für Tourismusakteure zu erleichtern. Das macht TourCert für viele interessant.Es geht nicht um das einzelne Unternehmen sondern den gesamten Raum (die Destination).

TourCert bietet auf drei Ebenen eine Zertifizierung an. Zum einen gibt es das Zertifikat „Nachhaltiges Reiseziel“ für Destinationen. Zum anderen zertifiziert TourCert Unternehmen wie etwa Reisebüros oder nach wie vor natürlich Reiseveranstalter. So sind z. B. die Reiseveranstalter im forum anders reisen von TourCert zertifiziert.

Und dann gibt es noch die Möglichkeit für Tourismusorganisationen, nicht ihre Destination, sondern sich selbst als nachhaltiger Tourismusbetrieb zertifizieren zu lassen. Die Tourismusagentur Schleswig-Holstein (TA.SH) beschreitet gerade diesen Weg. Dabei handelt es sich um ein Mischsystem zwischen rein betrieblichen Standards und Anforderungen an das Destinationsmanagement.

Unsere Standards sind anspruchsvoll, aber auf jeden Fall erfüllbar.Die im TourCert-Kriterienkatalog festgelegten Kriterien sind international vom Global Sustainable Tourism Council anerkannt. Die Zertifizierung basiert auf Leistungsanforderungen, in den Bereichen Umweltauswirkungen, soziale Verantwortung, wirtschaftliche und kulturelle Lebensfähigkeit der Gemeinden des Reiseziels und Verwaltung eines Nachhaltigkeitsprogramms.

Die Verifizierung läuft dann über ein unabhängiges sogenanntes Third-Party-Audit, das den Erfüllungsgrad der Standards feststellt, Empfehlungen für eine Verbesserung gibt und damit vor allem auf ein Verbesserungsmanagement abzielt. Dieses Audit wird anschließend durch unabhängige Gutachter*innen in einem Expertengremium nochmals verifiziert. Jährlich wird überprüft, ob der Maßnahmenplan noch aktiv weiterverfolgt wird und ob die Empfehlungen zur Verbesserung der Performance umgesetzt wurden.

Bei TourCert ist der faire Handel zusammen mit der Verwendung von bio-zertifizierten und regionalen Produkten im Kriterium der nachhaltigen Beschaffung fest verankert, allerdings nicht als Einzelkritierium. Tatsächlich beginnen viele Akteure im Tourismus gerade erst, sich Gedanken um Nachhaltigkeit zu machen. Zu Anfang wird oftmals erst einmal auf Regionalität oder Bio-Qualität geachtet.

Ich nehme aber aktuell ein gestiegenes Interesse von vielen Betrieben an Nachhaltigkeit im Tourismus wahr – sei es auf Grund der Nachfrage der Reisenden oder den Aktivitäten der Tourismusorganisationen. Wichtig ist, die Akteure da abzuholen, wo sie sind, und sie bei ihren Bemühungen um mehr Nachhaltigkeit zu unterstützen. Fairer Handel ist da natürlich auch ein wichtiger Aspekt.